Faktencheck: darum gibt es in Kuba so viele Oldtimer

Aktualisiert: 5. Dez 2022

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Der wahre Grund, warum es in Kuba so viele Oldtimer gibt

Aktualisiert: 5. Dez 2022

Oldtimer gehören zu Kuba wie Salsa, Tabak und Rum. Wer den Verkehr in Havanna beobachtet, fühlt sich nicht selten gut 50 Jahre in die Vergangenheit versetzt. Doch warum gibt es in Kuba eigentlich so viele Oldtimer? Oder man könnte auch fragen: Warum gibt es so wenige moderne Fahrzeuge? Im Internet kursieren eine Vielzahl an verschiedenen Erklärungsansätzen und Theorien. Dieser Artikel schafft nun Klarheit, indem er zunächst die Mythen entkräftet und dann den Ursprung der vielen Oldtimer klärt.

Hypothese 1: Kuba fehlen die Devisen

Die einen meinen, den Kubanern fehle schlicht das Geld, um neue Fahrzeuge zu importieren. An und für sich eine plausible Annahme. Doch wie kann es dann sein, dass in Kuba ein schrottreifer 30 Jahre alter Volkswagen 35.000 Euro kostet? Dafür ließen sich doch im Ausland drei Neuwagen beschaffen! Da stimmt doch was nicht. Am Mangel an Geld kann es also nicht liegen...

Hypothese 2: Die Yankees sind schuld

Wenn es nicht am Geld liegt, dann könnte es doch das imperialistische Gehabe des kapitalistischen Erzfeindes sein. Schließlich boykottieren die Amerikaner die sozialistische Insel seit über fünf Dekaden. Etwa dürfen Schiffe nicht in kubanischen Häfen anlegen. Firmen, die mit Kuba Geschäfte unterhalten, drohen amerikanische Sanktionen. Ist also das Embargo der Grund für die wenigen modernen Fahrzeuge auf Kubas Straßen?

Der zweite Blick entkräftet auch diese Theorie. Wer Kuba kennt, weiß, dass etwa die gesamte staatliche Flotte der Leihwagen importiert ist. Einige Fahrzeuge stammen aus Fernost, andere auch aus Europa. Ein Import von Fahrzeugen muss also durchaus möglich sein.

Private Sammeltaxis in Varadero (2020)

In der Tat ist es also nicht so, dass das Embargo Kubaner daran hindert, im Ausland Fahrzeuge zu erwerben. Im schlimmsten Fall sind durch die strikten Wirtschaftssanktionen die Beschaffungs- und Transportkosten etwas höher.

Die Lösung des Rätsels!

Der Ursprung der wenigen modernen Fahrzeuge ist dem kubanischen Wirtschaftssystem geschuldet. Nach der Machtübernahme Fidel Castros 1959 wurden nicht nur alle Produktionsbetriebe und auch der meiste Grund und Boden verstaatlicht, sondern Privatleuten wurde der Import von Fahrzeugen untersagt. Ausgenommen von dieser Beschränkung blieben jedoch jene Fahrzeuge, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Privatbesitz befanden.

Die alten Fahrzeuge im Familienbesitz wurden als privat ("particular") deklariert und erhielten ein "P" im Nummernschild. Bis heute blieb der private Import von Fahrzeugen bis auf wenige Ausnahmen untersagt.

Ausnahmen von dem Importverbot wurden in wenigen Fällen für Kubaner geschaffen, die im staatlichen Auftrag im Ausland arbeiteten, etwa die berüchtigten kubanischen Mediziner.

Auch wurde einige Male der zaghafte Versuch unternommen, Leistungsträgern einen Import von Fahrzeugen zu genehmigen. Dieses Privileg wurde etwa Universitäts-Professoren eingeräumt. Als dann ein reger Handel mit den Sondergenehmigungen aufkam, machte die Regierung schließlich einen Rückzieher.

Der größte Anteil, der nach der Revolution importierten Fahrzeuge, befindet sich jedoch im Staatseigentum. Höhere staatliche Angestellte, wovon es in Kuba recht viele gibt, erhalten nicht selten ein Motorrad oder ein Auto von ihrem staatlichen Arbeitgeber gestellt. In Anbetracht der sehr geringen Löhne ist ein Fahrzeug ein wichtiges Motiv für den Staat zu arbeiten.

Kein Platz: In Kuba ist der Transport ein täglicher Kampf

Im Zuge der Wirtschaftsreformen nach dem Rückzug Fidel Castros von der Regierungsspitze, wurde ausländischen Autoherstellern genehmigt, Fahrzeuge nach Kuba zu importieren und marktwirtschaftlich zu veräußern. Allerdings erhob der kubanische Staat Steuern in Höhe von etwa 800 Prozent, was die Preise der Fahrzeuge in astronomische Höhen trieb. Bei Preisen von 250.000 USD für einen europäischen Kleinwagen ließen sich verständlicherweise kaum Fahrzeuge verkaufen.

Die Folgen dieser Wirtschaftspolitik

Die Folgen dieser restriktiven Wirtschaftspolitik – Kubaner sprechen von einer internen Blockadesind leere Straßen, auf denen eben nur wenige Autos verkehren, darunter die besagten Oldtimer aus der Zeit vor der Revolution.

Anhalter auf der Autobahn (2020)

Die meisten Oldtimer verkehren seit Jahrzehnten als Sammeltaxis und sind somit ein unerlässlicher Teil des kubanischen Personenverkehrs, der aufgrund des chronischen Fahrzeugmangels allzu häufig katastrophal ist.

Der Staat arrangiert sich nur mit den privaten Taxifahrern, da er selber nicht in der Lage ist den Personenverkehr abzuwickeln. Allerdings kommt es häufig zu Spannungen zwischen den Fahrern und der Regierung. Immer wieder reguliert der Staat die selber geschaffene Miesere mit neuen Vorschriften, Steuern und Lizenzen.

Reifenwechsel am Prado in Havanna (2019)

Die Eigentümer der Oldtimer müssen die meisten Ersatzteile im Ausland beschaffen. Vieles wird aus den USA, Europa oder aber auch aus Russland importiert. Üblicherweise reisen Kubaner in die Länder, besorgen ein paar Teile und bringen sie nach Kuba. Somit haben auch Ersatzteile exorbitante Preise, wodurch die Fahrzeuge noch teurer werden.

Ein schrottreifer Ami-Schlitten kostet schnell 10.000 USD. Ein gepflegter Oldtimer mit moderner (gebrauchter) Technik unter der Haube, der etwa Touristen befördert, kostet ohne weiteres 30.000 USD aufwärts. Die meisten Oldtimer sind aufgrund der mangelnden Ersatzteile jedoch in einem bedauerlichen Zustand.

Fahrzeuge sind in Kuba also eine Art Investitionsgut. Familien, die das Privileg eines eigenen Autos genießen, leben nicht selten in erster Linie von dem durch das Fahrzeug generierten Einkommen.

Eine weitere Konsequenz dieser Politik ist, dass die Ineffizienz in hohen Fahrkosten resultiert. Viele Kubaner, besonders in der Hauptstadt Havanna, müssen für den Transport einen erheblichen Anteil ihrer Einkommen aufwenden. Hinzu kommt stundenlanges Warten auf ein Fahrzeug. In vielen anderen Städten dominieren indes Pferdekutschen den öffentlichen Nahtransport.

Kutschen in Cárdenas (2020)

Der sozialistische Ansatz, dass Fahrzeuge nicht im Privatbesitz sein sollten, führt also paradoxerweise direkt in eine marktwirtschaftliche Abhängigkeit zwischen „Verbrauchern“ und den „Kapitalisten“, den Eigentümern der wenigen Fahrzeuge.

Fazit

Der wahre Grund für die vielen Oldtimer in Kuba ist die restriktive Wirtschaftspolitik der kubanischen Regierung, die Privatleuten seit Dekaden de facto keinen Import von motorisierten Fahrzeugen ermöglicht.

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